Im Trockendock können Musiker mit und ohne Handicap ein Instrument lernen, Proberäume nutzen und auf der Bühne stehen. Sozialpädagoge Joern Beneke (47) arbeitet an einem Ort, der zu den Fixpunkten für kreative Jugendliche in Hamburg gehört.
Joern, das Jugendmusikzentrum Trockendock besteht seit 1979, seit wann gibt es inklusive Angebote für Kinder und Jugendliche?
Joern Beneke: Die gab es immer schon. Ich bin seit 2005 hier, damals gab es einen Jugendlichen im Rollstuhl, der Bassunterricht hatte. Etwas später hatten wir über sehr viele Jahre eine Band, die komplett aus Menschen mit Handcap bestand. Diese Band hieß SSPiiS, eine tolle Band, die sich leider irgendwann aufgelöst hat. SSPiiS wohnten alle in betreuten Wohngemeinschaften in Hamburg und kamen als feste Band zu uns. Die waren unheimlich kreativ, das fand ich sehr beeindruckend.
Und aktuell?
Momentan haben wir eine junge Rollstuhlfahrerin im Gesangsunterricht und ein junges Mädchen mit Beinprothesen im Gitarrenunterricht. Beide sind hier auch letztes Jahr bei unserem Tag der offenen Tür aufgetreten. Außerdem haben wir einen jungen Mann mit Down-Syndrom, der schon viele Jahre zu uns kommt. Er kam zu Beginn immer in Begleitung eines Zivildienstleistenden, hatte zwischenzeitlich auch etwas über ein Jahr Schlagzeugunterricht bei uns und kommt mittlerweile jeden Mittwoch allein und spielt eine Stunde Schlagzeug, ist hinterher noch bei uns im Café und hört Musik. Das Trockendock ist ein Fixpunkt, diese Routine ist für ihn sehr wichtig. Bei ihm machen wir eine Ausnahme mit der Altersbeschränkung, die momentan bei sechs bis 21 Jahren liegt.
Wie weit seid ihr mit dem Versuch gekommen, wieder eine Inklusionsband auf die Beine zu stellen?
Das haben wir vergangenes Jahr versucht. Wir haben uns um Bandcoaches gekümmert, haben einen Flyer erstellt und diesen in diversen Einrichtungen, wie zum Beispiel Campus Uhlenhorst, verteilt. Es sind auch Interessierte vorbeigekommen, aber ähnlich wie bei Bands mit Menschen ohne Handicap, ist es schwierig, eine Band zu „konstruieren“. Verschiedene Charaktere, die eine ähnliche Musikrichtung mögen, wo die Fähigkeiten am Instrument und im Alter nicht zu weit auseinander liegen, das alles zu connecten ist leider nicht so einfach. Grundsätzlich kann sich bei uns jede Band melden, auch wenn sie nur zu zweit sind, um zu proben.
Wie kooperiert ihr mit Campus Uhlenhorst?
Wie bereits erwähnt waren wir im Austausch mit Campus Uhlenhorst, als wir versucht haben eine Inklusionsband ins Leben zu rufen. Es gab auch einen Besuch, wo alle unsere Einrichtung kennenlernen und Instrumente ausprobieren konnten. Hier wurde dann auch das Interesse an einer Band signalisiert.
Des Weiteren schließt sich Campus Uhlenhorst im nächsten Jahr auch dem Fachkräfteaustausch mit Tansania an, bei dem unser Geschäftsführer Hans Schinowski seit vergangenem Jahr sehr aktiv involviert ist.
Wer bei euch vorbeikommt, muss kein eigenes Instrument mitbringen?
Nein, wir haben alles da, und man kann alles nutzen und ausprobieren. Unsere Musiklehrer*innen und Bandcoaches haben langjährige Erfahrung und teilweise auch eine therapeutische Ausbildung. Der Spaß soll auf jeden Fall im Vordergrund stehen, und es wird sich nach den Interessen der Jugendlichen orientiert. Man kann hier aber leider nicht sofort anfangen. Alles läuft über Wartelisten, die natürlich unterschiedlich lang sind. Mal kann es schnell gehen, mal braucht es etwas Geduld. Man zahlt für den Musikunterricht in Gesang, Klavier, Schlagzeug, Gitarre und Bass nur 20 Euro im Monat und hat jede Woche für eine Dreiviertelstunde Einzelunterricht. Anderswo zahlt man wesentlich mehr.
Welche Musikstile sind in den Proberäumen und auf der Bühne zu hören?
Die ganze Palette ist hier präsent. Hip-Hop, Punk, Metal, Indie, Rock und Pop. Alles hat natürlich unterschiedliche Peaks, und es gab über die letzten Jahre auch viele Symbiosen von Musikstilen.
Samy Deluxe 2003 bei der Abrissparty des alten Trockendocks.
Foto: Jugendmusikzentrum Trockendock
Hip-Hop-Experten wissen, dass im alten Trockendock an der Osterbekstraße die damals noch Absolute Beginner einige ihrer ersten Konzerte gegeben haben.
Ja, die Beginner sind hier aufgetreten, Tobi und das Bo, Blumentopf und Samy Deluxe ebenfalls. Weil wir eine Kooperation mit Salut Deluxe haben, kommt Samy Deluxe auch heute noch manchmal vorbei. Das finden die Jugendlichen natürlich ganz cool. Marcus Wiebusch (But Alive/Kettcar) hat bei 1000 Steine in Bergedorf geprobt. Deichkind waren da wohl auch mal, so sagt es die Legende. Zoe Wees kommt aus der 1000 Steine Einrichtung in Bramfeld. Sie ist auch öfter hier aufgetreten. Die Proberäume und Auftrittsmöglichkeiten sind schon sehr professionell. Bei den Auftritten gibt es einen eigenen Tontechniker, der den Sound mischt. Wir sind ein Team von zwei Sozialpädagogen und einer Sozialpädagogin. Und seit diesem Jahr haben wir noch eine Medienpädagogin in unserem Team. Weil wir Pädagog*innen sind, sind wir für die Jugendlichen auch bei Problemenlagen da.
Was bedeutet 1000 Steine?
Der Ursprung liegt in den Siebzigern und beruht auf ein Modell aus Schweden, wo man versuchte, die „Kids“ mit Musik von der Straße zu holen. Lange lautete der Slogan „Rock statt Drogen“, aber der Begriff Rock war dann irgendwann überholt, weil Hip-Hop und ganz andere Musikstile dazukamen. Auch „Lass 1000 Steine rollen“ war ebenfalls etwas umständlich. Deshalb nennen wir uns nur noch „1000 Steine“. Als Träger fungiert der Verein Trockendock e.V., 1000 Steine ist eine Einrichtung davon. Hier in Barmbek-Süd befindet sich das Stammhaus im Jugendmusikzentrum Trockendock, und es gibt noch 1000 Steine Einrichtungen in Bramfeld, Bergedorf, Mümmelmannsberg und in Kirchdorf-Süd.
Der Träger hat darüber hinaus noch weitere Einrichtungen wie die Beratungsstelle Kompaß, die Mobile Spielaktion, den Mädchentreff in Mümmelmannsberg und seit neustem bietet der Träger auch Ambulante Hilfen an.
Warum funktioniert die Arbeit mit Jugendlichen gut über Musik und Tanz?
Das ist ihre Lebenswelt. Musik begleitet sie täglich. Du spielst in einer Band, da musst du zum Beispiel pünktlich und zuverlässig sein und Empathie haben. Alles Kompetenzen, die man im richtigen Leben auch braucht. Das passiert hier spielerisch. Und wenn du auftreten willst, musst du Durchhaltevermögen haben. Musik dient dabei als Medium, um die Selbstkompetenzen und soziale Kompetenzen der Jugendlichen zu fördern. Ich bin selbst auch Musiker, das hilft, Jugendliche besser zu verstehen, wenn sie beispielsweise auf die Bühne „müssen“.
Auch Popstar Zoe Wees war da, 2017
Foto: Jugendmusikzentrum Trockendock
Wie schnell können die Jugendlichen im Trockendock vor Publikum spielen?
Wir sagen immer: „Wenn ihr drei Songs, vielleicht so eine Viertelstunde zusammenkriegt, könnt ihr auftreten.“ Das kannst du sonst nirgendwo machen. Wenn du in Hamburg auf die Bühne möchtest, brauchst du immer Programm für eine halbe Stunde aufwärts und vor allem dein eigenes Equipment. Hier wird den Jugendlichen alles zur Verfügung gestellt. Wir machen Kooperationen mit anderen Einrichtungen, damit wir auch mal woanders hinfahren. Auch in andere Länder, dass sie auch mal das Gefühl von Tourleben haben. Da wir auch viele Offene Angebote wie beispielsweise Breakdance, Krump, K-Pop, Dancehall oder Voguing anbieten, finden hier auch oft Tanz-Events statt. Dieses meistens in Kooperation mit den Jugendlichen, die sowas zu organisieren sonst nie machen könnten, weil die finanziellen Hürden einfach zu hoch wären. Hier können sie mit unserer Unterstützung alles ausprobieren.
Draußen steht, dass Alkohol und Drogen in den Räumen verboten sind.
Absolut, wir sind suchtpräventiv tätig. Für Jugendliche, die zum Beispiel aus Nachsorgeeinrichtungen zu uns kommen oder anderweitig schon schlechte Erlebnisse gemacht haben ist das sehr wichtig. Einen Ort zu haben, wo sie kreativ sein können aber nicht die Angst im Nacken, getriggert zu werden. Und dass man auch bei klarem Bewusstsein Musik machen kann, ist für viele eine super Erfahrung. Uns ist schon klar, dass die Welt der Jugendlichen außerhalb unserer Einrichtung anders aussieht. Das ist auch der Punkt, wo wir als Sozialpädagog*innen mit den Jugendlichen ins Gespräch kommen. Wir sind neben der Ermöglichung von kultureller Teilhabe vor allem auch Ansprechpartner’innen für eine Vielzahl von Problemen und Fragen, die zu dieser Phase des Lebens vorhanden sind.
www.trockendock-hamburg.de
Das Interview ist in Vielfalt Leben – das Magazin von SZENE HaAMBURG und der Senatskoordination 12/2023 erschienen
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