Vom Weltkriegsdenkmal zum Ziel für Touristen: Am Grünen Bunker auf St. Pauli scheiden sich die Geister
Marieke Van der Slot ist auf dem Weg nach unten, als sie sagt, wie ihr die Aussicht auf Hamburg gefällt. „Ich mag es, wenn die Kräne im Hafen zu sehen sind“, berichtet die Touristin aus Amsterdam. Sie trägt Turnschuhe, weil sie bei ihrem dreitägigen Besuch möglichst viel durch die Stadt laufen will, wie sie im besten Rudi-Carell-Deutsch berichtet. Vom Bunker aus habe man den besten Überblick, sagt die Niederländerin, ehe sie weiter die Treppen Richtung Feldstraße hinabsteigt.
Seitdem im Juli der Grüne Bunker auf St. Pauli öffnete, hat Hamburg eine Attraktion mehr zu bieten. Der ehemalige Flakbunker aus dem Zweiten Weltkrieg wurde um 30 Meter aufgestockt, in den fünf Geschossen gibt es ein Hotel und eine Sport- und Veranstaltungshalle. Mit 4.700 Pflanzen ist der Aufbau begrünt worden, die 58 Meter über dem Heiligengeistfeld gelegene Dachterrasse kann über einen „Bergpfad“ mit 335 Stufen erreicht werden. Laut Auskunft des Betreibers kommen rund 4.000 Besucherinnen und Besucher täglich, auch an einem bewölkten Mittwochnachmittag drängen sich zahlreiche Bunker-Alpinisten an den Aussichtspunkten. Michael aus Winsen an der Luhe schaut dabei länger auf das Millerntor-Stadion, das der Fan des FC St. Pauli mit seiner Dauerkarte alle 14 Tage besucht. „Da hat jemand eine richtig gute Idee gehabt“, sagt er. Dass es keinen Eintritt koste, die spektakuläre Aussicht zu bewundern, gefalle ihm besonders gut.
Mathias Müller-Using, auch er hängt dem Erstliga-Aufsteiger an, hatte zunächst die Idee für eine temporäre VIP-Lounge aus alten Containern im St. Pauli-Stadion ausgeheckt, ehe er sich der Transformation des benachbarten Betonklotzes widmete. Mit mehreren Architekten entwickelte er einen Entwurf, den er Thomas J. C. Matzen vorstellte, dem Inhaber des Erbbaurechts am Bunker, der der Stadt gehört. Matzen gefiel die Idee, er beantragte eine Baugenehmigung, die er 2017 bekam.
Die Entwürfe beeindruckten Öffentlichkeit und Behörden durch Visualisierungen üppigen Grüns in luftiger Höhe. Im städtebaulichen Vertrag wurde festgelegt, dass in fünf Jahren, wenn der Garten gewachsen ist, 75 Prozent der Wände begrünt sein müssen. Bislang ist das Verhältnis eher umgekehrt, der Bau wirkt freundlicher, weil das Beton hinter den Pflanzen grün angestrichen ist. Er habe „eher Ähnlichkeit mit einem Ikea-Hochregal voller Topfpflanzen“, urteilt Gerhard Matzig in der „Süddeutschen Zeitung“.
Obwohl noch im Wachstum befindlich, könne die Bepflanzung bereits auf dem Weg zum Biotop sein, heißt es aus der Umweltbehörde. „Gründächer sind ein ökologischer Lebensraum, sie verbessern die Bedingungen für verschiedene Organismen und fördern die Artenvielfalt in der Stadt“, so Sprecherin Birgit Seitz. Es gebe dort mittlerweile mindestens 314 verschiedene Käferarten, von denen viele sehr selten sind, als Biotop wiesen sie insgesamt hohe ökologische Qualität auf. Der grüne Bunker sei auf Grund seiner Höhe besonders interessant, was mögliche Käfervorkommen betrifft.
Insgesamt sind in Hamburg rund 200 Hektar Dachfläche begrünt, was zwar der doppelten Fläche des Stadtparks entspricht, aber dennoch stark ausgeweitet werden muss, um die Klimaziele zu erreichen. Dafür wurde Ende 2023 das Klimaschutzgesetz geändert: Die bereits bestehende Pflicht, auf Flachdächern Photovoltaikanlagen zu bauen, wird ab Januar 2027 zu einer Solargründachpflicht ausgeweitet. Die Stadt fördert grüne Dächer bis 2027 mit 40 bis 60 Prozent der Kosten, seit 2024 gibt es dafür zusätzlich 3,5 Millionen Euro. Die Begrünung muss für Hauseigentümer allerdings „wirtschaftlich vertretbar“ sein.
Welche Folgen der touristische Anziehungspunkt für St. Pauli und das angrenzende Karolinenviertel hat, ist noch nicht abzusehen. Bislang, so berichten Anwohner, kämen die Bunkerbesucher nicht ins Karoviertel, fungiere die Feldstraße als unsichtbare Grenze. Es bleibt allerdings schwer vorstellbar, dass das neu eröffnete Vier-Sterne-Hotel „Reverb bei Hard Rock Hamburg“ mit Gästen, die 175 bis 400 Euro pro Nacht und Zimmer bezahlen, die weitere Gentrifizierung des Stadtteils nicht beschleunigen wird.
Bei Kristina Sassenscheidt vom Denkmalverein Hamburg löst die Aufstockung des Bunkers unterschiedliche Gefühle aus. Grüne Dächer und öffentlich zugängliche Aussichtsplattformen sind aus ihrer Sicht sehr zu begrüßen. „Es ist allerdings sehr fragwürdig, dafür eines der wichtigsten Mahnmale gegen die Schrecken des Nazi-Terrors und den Zweiten Weltkrieg mit einer Rampe und einer gewaltigen Aufstockung zu überformen und ihm damit seine historische Aussagekraft zu nehmen.“
Ähnlich sieht das Henning Angerer, der das Buch „Flakbunker. Betonierte Geschichte“ über das Gebäude an der Feldstraße geschrieben hat. „Es ist ein brutaler Eingriff, der Bunker wird verniedlicht, das Denkmal ist zum Spielball von Hipstern geworden.“ Der Umbau von Nazibauten sei beim Energiebunker in Wilhelmsburg oder in den Flakbunkern in Wien deutlich besser gelungen so Angerer.
Wolf von Waldenfels, der Geschäftsführer der nach dem Hitler-Attentäter Georg Elser benannten Halle, wies gegenüber dem NDR den Vorwurf der Verniedlichung zurück. „Das ist nicht der Fall“, findet er. Seine Begründung, man könne jetzt um den Bunker herumgehen und sehe dessen gigantische Ausmaße, wirkt allerdings etwas konstruiert. Von Waldenfels weiter: Mit dem Neubau der Halle für bis zu 2.200 Menschen, die für die umliegenden Schulen als Sporthalle genutzt werde, komme man in eine Zukunft, die damit nichts mehr zu tun habe.
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