Weil einige Kaufhäuser in bester Lage geschlossen wurden, versucht die Stadt den Leerstand mit Kultur zu kaschieren. Klappt das auch im ehemaligen Karstadt-Gebäude in Harburg?
„Diese Fläche“, sagt Heiko Langanke, und scheint einen Moment durch das riesige Gebäude zu spazieren, „ist nun wirklich spannend.“ Man ahnt, dass der umtriebigen Gründer des Netzwerks SuedKultur dabei nicht die Parfüm- oder Süßwarenabteilung der ehemaligen Karstadt-Filiale in Harburg im Blick hat. Der 50-Jährige spricht stattdessen von möglichen gläserne Schaudepots des Archäologischen Museums, neuen Probemöglichkeiten für die Hip-Hop-Crew des Kulturpalasts Rieckhoffstraße sowie modernen Räumen für Volkshochschule und Bücherhalle. „Kultur hat in Harburg bislang zu wenig Raum“, sagt er. Wenn man die 16.000 Quadratmeter ehemalige Verkaufsfläche im leerstehenden Gebäude sinnvoll nutze, „wird da ein Schuh draus“.
Im Juni schloss das Warenhaus Galeria Karstadt Kaufhof in Harburg für immer seine Türen, kurze Zeit später wurde das Grundstück am Schloßmühlendamm an einen unbekannten Käufer veräußert. Bezirksamtsleiterin Sophie Fredenhagen (SPD) alarmierte Finanzsenator Andreas Dressel (ebenfalls SPD), beide befürchteten, dass das Filetgrundstück zum Spekulationsobjekt werden könnte. Da die Stadt ein Vorkaufsrecht hatte, konnte das verhindert werden, in dem sie das Grundstück selber kaufte. Dr. Rolf Bosse, Vorsitzender des Mietervereins lobt: „Dass die Stadt ihr Vorkaufsrecht ausgeübt hat, war richtig und notwendig. Wir sehen gerade, wie unzuverlässig private Investoren sein können, die mit wichtigen städtebaulichen Projekten betraut wurden. Die Transformation der Innenstädte ist in vollem Gange. Ihr Gelingen ist Voraussetzung für eine lebenswerte Stadt auch in den nächsten Jahrzehnten. Hier muss die Stadt am Hebel bleiben.“
Nördlich der Elbe, in der Mönckebergstraße, gibt es zwei Problemimmobilien, seitdem Galeria Kaufhof und Karstadt Spiel und Sport dort auszogen. Große Verkaufsflächen sind kaum noch zu vermieten, die Pandemie beschleunigte den Trend zum Onlinehandel zusätzlich. Im Karstadt-Sport-Gebäude ist seit Juni 2021 übergangsweise das Kreativhaus Jupiter eingezogen, dessen Name an das gegenüberliegenden Elektronik-Kaufhaus angelehnt ist. Im Jupiter gibt es Kunstgalerien, auf einigen der sechs Geschosse kulturelle Veranstaltungen, die auch ein jüngeres Publikum anziehen. Das Kreativkaufhaus ist das bekannteste Beispiel des Förderprogramms „Frei_Fläche“, mit dem die Stadt die sich ausbreitende Verödung der City mit Kultur bekämpfen will. Das Programm endet zum Jahresende, derzeit werde laut Stadtentwicklungsbehörde geklärt, wie und wie lange es „in 2024 aus Restmitteln verlängert werden kann“. Klingt ein bisschen nach Resterampe, und deckt sich mit Langankes Eindrücken, zu oft als Lückenbüßer gesehen zu werden. „Wenn es einen riesigen Leerstand zu kaschieren gilt, wird auf einmal ganz viel über Kultur geredet“, sagt er. Als er mit 50 Kulturschaffenden 2018 die Räume der ehemaligen Dreifaltigkeitskirche in Harburg neun Monate probehalber bespielte, gab es vom Bezirk keine Unterstützung, den 3falt genannten Kulturort für 300 Zuschauer dauerhaft zu ermöglichen.
Wie geht es weiter? „Derzeit können noch keine Aussagen zu geplanten kurz-, oder mittelfristigen Nutzungen gemacht werden“, sagt Harburgs Bezirkschefin Fredenhagen. „Als Bezirksamt ist es uns allerdings wichtig, langen Leerstand zu vermeiden, alle Beteiligten bei der Suche nach einer geeigneten Interimsnutzung zu unterstützen und zum Beispiel dringend geäußerte Raumbedarfe – zum Beispiel kulturelle Angebote – in eine Zwischennutzung zu integrieren.“ Dass die Fläche, die auf dem Planeten Jupiter mit viel Kreativität bespielt wird, dabei nur halb so groß ist, wie im ehemaligen Karstadt-Harburg zeigt, wieviel dort in den kommenden Monaten zu tun ist. In Harburg, so Langanke, fehle es aber komplett an Erfahrung mit einem solchen Großprojekt.
Was man auf Dauer aus ungenutzten Kubus-Gebäuden in Innenstädten machen kann, hat Lünen am nördlichen Rand des Ruhrgebiets gezeigt. Der Bauverein zu Lünen baute das ehemalige Hertie-Kaufhaus für Gewerbe und Wohnungen um, dazu wurde es innen entkernt und ein grüner Innenhof geschaffen. Per Betonsäge wurde dazu eine Schneise in den 14.700 Quadratmeter großen Klotz gesägt, damit die 24 Wohnungen in den oberen Geschossen ausreichend Licht bekommen. Im Erdgeschoss sind Geschäfte und Gastronomie untergebracht, auch eine Bankfiliale und Arztpraxen gibt es. Als der Bau 2017 fertig wurde, erhielt er den Architekturpreis des Bunds Deutscher Architekten im Gebiet Dortmund, Hamm und Unna. Sicher ist: Wer das ehemalige Karstadt in Harburg entkernen will, braucht einen guten Statiker. Denn unter dem Gebäude liegt direkt neben dem S-Bahnhof Harburg Rathaus ein gigantischer stillgelegter Atombunker, der einst für 5.000 Menschen konzipiert wurde.
Der Text ist im MieterJournal 4/2024 erschienen.
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