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Verkehr in Hamburg: „Nicht auf Kulturkampf einlassen“

In seiner Masterarbeit hat Arne Witte eine Hochgeschwindigkeitsbuslinie untersucht, die auf dem Ring 2 fahren könnte. Der 33-Jährige war im Zuschauerraum, als Verkehrssenator Anjes Tjarks am 4. März 2024 bei der Veranstaltung des Westwinds und der Verkehrsinitiative Starten:BahnWest! über „Mehr Busse für den Born!“ sprach.

Herr Witte, Sie sind Verkehrsplaner und Politikwissenschaftler. Sind Pop-up-Busspuren nicht mehr politisch durchsetzbar oder ist Verkehrssenator Anjes Tjarks aus Ihrer Sicht zu vorsichtig?
Arne Witte: Der öffentliche Nahverkehr hat meinem Eindruck nach insgesamt keine starke politische Lobby in Deutschland. Es gibt viele Interessenverbände, aber ich habe den Eindruck, die sind deutlich weniger präsent als beispielsweise der Radverkehr. Die Kfz-Lobby ist sowieso deutlich besser vernetzt in den höheren politischen Kreisen. Ich habe den Eindruck, der ÖV fällt da immer so ein bisschen hinten runter. Zudem scheint mir das Thema Verkehrswende zu einem Kulturkampf verkommen zu sein, wo es wenig um Sachargumente und das gesamtgesellschaftlich Sinnvolle geht, sondern oft einfach um Gefühle. Man sieht an vielen Stellen in Deutschland, dass dieser Kulturkampf teils ganz bewusst und immer stärker herbeigeführt wird. Die Verkehrswende scheint gerade auf dem Rückzug. Das ist die Zwickmühle, in der verkehrswendeorientierte Politik steckt. In dieser Gemengelage bewegt sich auch Herr Tjarks, ich beneide ihn in dieser Hinsicht nicht um seinen Job.

Sie hatten gerade einen Termin in Berlin. Wie ist es dort um die Verkehrswende bestellt?
Durch die veränderten politischen Kräfteverhältnisse wird auch in Berlin jetzt die Uhr so ein bisschen zurückgedreht. In Hannover sehen wir das ähnlich, wo die SPD die Koalition mit den Grünen aufgekündigt hat, Knackpunkt war die ambitionierte verkehrliche Umgestaltung der Innenstadt. Das sind genau die Problempunkte, die auftreten, wenn tatsächlich die Straßenräume umgestaltet werden und mehr Platz für andere Verkehrsträger eingeräumt wird. Die Verkehrswende hat nicht nur Unterstützer, sondern es gibt viele Leute, die dagegen sind, und die haben eine starke Lobby. Aber ich denke doch, man müsste mutiger argumentieren, gerade wegen des starken Gegenwinds. Die Argumente sind in vielerlei Hinsicht aufseiten der Verkehrswende. Und ich halte es am Ende doch für die Aufgabe von Politik, Mehrheiten für gute Ideen zu generieren. Dass es nicht darum geht, vermeintlich populäre Entscheidungen zu treffen, sondern dass man daran arbeitet, dass sinnvolle Entscheidungen populär werden. Ich denke, dafür müssten viel stärker handfeste Sachargumente genutzt werden. Man darf sich nicht auf diesen emotionalen Kulturkampf einlassen.

Beim Auto wird es oft emotional.
Ja. Ich will das gar nicht kleinreden, es ist nicht einfach. Die Kämpfe um den öffentlichen Straßenraum sind wahnsinnig kompliziert, das erlebe ich in meiner Arbeit auch immer. Jeder Parkplatz ist heiß umkämpft. Es könnte helfen, das Thema aus ökonomischer Sicht zu betrachten. Viele haben dieses Bild vom Autofahrer als „Melkkuh der Nation“, der nur zahlt und nie bekommt, während der ÖV nur Geld kostet. Dabei sagen uns die wissenschaftlichen Untersuchungen zum Thema recht deutlich, dass das Gegenteil der Fall ist. Kfz-Verkehr ist hinsichtlich der verkehrlichen Leistungsfähigkeit und der Energiebilanz sehr ineffizient und dadurch sehr teuer. So teuer, dass es nur funktioniert, weil wir den Kfz-Verkehr enorm subventionieren. Es fängt ja schon beim kostenfreien oder nahezu kostenfreien Parkplatz auf der Straße an. Aber durch diese Ineffizienz und große externe Kosten, wie etwa Unfallfolgekosten, kostet uns der Kfz-Verkehr deutlich mehr als der ÖV es jemals könnte. Gerade in der Stadt.
Es ist ein Paradox, dass gerade die Parteien, die für sich selber in Anspruch nehmen, ökonomischen Sachverstand zu haben, gerade die sind, die diesen wahnsinnig ineffizienten Verkehrsträger immer weiter fördern. In den Medien war jetzt zu lesen, dass die Autobahn GmbH Mehrbedarf für die Sanierung maroder Straßenbrücken angemeldet hat. Beim ÖV heißt es immer: Das muss kostendeckend sein, das muss sich rechnen. Die Deutsche Bahn soll Gewinn abwerfen, von der Autobahn hingegen erwartet das niemand. Mir scheint, viele haben stark verzerrte Sichtweisen auf die Thematik. Ein argumentativer Hebel für die Verkehrswende wäre, das zu thematisieren und klarer aufzuzeigen, wofür wir im Verkehrssektor als Gesellschaft gerade jetzt, wo die Kassenlage nicht mehr so rosig ist, das Geld ausgeben wollen, und was wir im Gegenzug von diesen Investitionen bekommen.

Sie reden aber vom Verkehr in der Großstadt?
Genau, auf dem Land und in kleineren Städten ist die Sache etwas komplexer. Aber gerade in der Großstadt ist es einfach, gute Mobilität auch ohne Auto zu gewährleisten. Das Hauptproblem ist meiner Meinung nach: Wir leisten uns zur Zeit zwei sich kannibalisierende Systeme. Wir subventionieren den ineffizienten Pkw-Verkehr und privilegieren ihn im Straßenraum, gleichzeitig subventionieren wir auch den ÖPNV. Dabei bräuchte der wohl gar keine oder kaum Subventionen, wenn wir nur damit aufhören würden, den Kfz-Verkehr so stark zu subventionieren. Es ist ja nicht gottgegeben, dass wir fast überall so gut wie umsonst ein Auto dauerhaft abstellen dürfen und vier Fahrstreifen für den Kfz-Verkehr haben, aber null reine Fahrstreifen für den Bus, der dann mit im Stau steht. Man könnte stattdessen auch durchgängig eigene Infrastrukturen für den Bus haben. Der hat seine eigene Trasse, der steht nicht im Stau und bekommt fast immer direkt grün an der Ampel.

„Am Ende ist es auch noch günstiger für uns alle“

Der Bus als öffentliches Verkehrsangebot würde viel attraktiver. Also, man kann da wirklich massiv Fahrzeit einsparen, und die Kräfteverhältnisse würden sich verschieben. Betriebskosten sinken, Fahrgastzahlen, und damit Einnahmen, steigen. Vor Corona hatten Hochbahn und VHH einen Kostendeckungsgrad von über 90 Prozent. Dennoch musste die Stadt jährlich um die 50 Millionen Euro bei der Hochbahn und etwa zehn bis 15 Millionen Euro bei der VHH ausgleichen. Wie sähe das wohl aus, wenn die Busse kaum im Stau und an roten Ampeln stünden? Ich höre sehr selten, dass diese Aspekte tatsächlich mal benannt werden. Dass man sagt, wir nehmen euch nicht was weg, sondern ihr gewinnt da richtig was dazu. Und am Ende ist es auch noch günstiger für uns alle. Von den weiteren positiven Aspekten von weniger Kfz-Verkehr ganz zu schweigen.

Der Senat hat das Ziel formuliert, dass die Fahrgastzahlen bis 2030 um 50 Prozent im Vergleich zum bisherigen Rekordjahr 2019 steigen sollen. Die S6 fährt, wenn überhaupt, nicht vor 2040. Das wird bis dahin im Hamburger Westen nur mit mehr Busverkehr funktionieren. Das Hochleistungsbussystem ist immer noch im Stadium, dass die technische Machbarkeit untersucht wird.
Mit ein bisschen Glück wird im Osten der Stadt vielleicht die S4 fahren und die U4-Verlängerung Richtung Horner Geest bestimmt, aber der große Wurf wird bis 2030 nicht passieren. Gerade deswegen fehlt mir eine konkrete infrastrukturelle Zielsetzung beim Bus. Man hört vom Hamburg-Takt und von Angebotsoffensiven. Aber mehr Busse schaffen ja nur bedingt ein attraktiveres Angebot. Die müssen ja auch verlässlich und stabil fahren können. Dichtere Takte, mehr Buslinien, mehr Direktverbindung – das ist alles gut. Aber das kann doch nur ein attraktives Angebot schaffen, wenn der Bus mehr Platz auf der Straße bekommt. Also, kaum wer steigt vom Auto in den Bus um, nur weil jetzt der Zehn-Minutentakt auf fünf Minuten verdichtet wird, der Bus dann aber genauso verspätet ist wie vorher. Wenn ich mich weiterhin nicht darauf verlassen kann, meinen Anschluss zu kriegen, oder dass ich rechtzeitig dort ankomme, wo ich hin will, nützt mir die Angebotsoffensive wenig und das Umsteigepotenzial bleibt begrenzt.

Der Verkehrssenator hat im Bürgerhaus Bornheide gesagt, dass nur die Teile der StreBaLu eine Busspur bekommen, wo die Straße ohnehin umgebaut werden muss, weil sie kaputt ist. Das sei schon haushaltstechnisch geboten.
Aber die Verspätung und Verzögerung im Busbetrieb kosten ja auch viel Geld. Es macht einen Unterschied, ob ich auf einer bestimmten Strecke zehn Busse brauche, um beispielsweise einen Fünf-Minuten- Takt zu fahren, oder ob ich sechs oder sieben Busse brauche. Das sind Kosten für Fahrzeuge, und vor allem Kosten für Fahrpersonal, das derzeit ohnehin fehlt. Viel Geld, das man durch echte Busbeschleunigung sparen könnte. Das ist ja das Schöne beim Bus: Man braucht die Straße nicht aufzureißen, um Gleise reinzulegen. Man kann auch ohne großen Umbau viel erreichen. Und die Stadt hat ja gerade an der Stresemannstraße schon bewiesen, dass sie es kann, als sie in den 90ern zwei Fahrstreifen für den Bus abmarkierte, oder kürzlich die Steinstraße provisorisch umbaute. Sowas kostet fast nichts und bringt sofort enorme Einsparungen, und zwar jährlich wiederkehrend. Wäre das haushaltstechnisch nicht viel eher geboten? Stichwort Kostendeckungsgrad der Verkehrsbetriebe. Solche Argumente vermisse ich in der Debatte.

Glauben sie denn, dass der Senat das Hochleistungsbussystem einführen wird?
Ich weiß es nicht. Aber ich hoffe es auf jeden Fall sehr. Ich war wirklich sehr begeistert, als ich gehört habe, dass sie das machen wollen, denn das ist genau der richtige Ansatz. Das brauchen wir nicht nur auf dem Korridor, wo X3, 2 und 3 fahren, sondern auf allen wichtigen Buskorridoren. Herr Tjarks hatte diese schwierige Gemengelage angesprochen, dass es so ein bisschen in Konflikt mit der S6 steht. Rückblickend betrachtet ist es etwas bitter, dass sie gerade diese Strecke als Testballon ausgewählt haben. Sehr bedauerlich, falls am Ende ein an sich gutes Pilotprojekt an diesem übergeordneten Konflikt scheitert.

Herr Witte, wir haben viel über Busse gesprochen, was halten Sie von einer Straßenbahn?
Ich bin großer Freund von Straßenbahnen. Ein fantastisches innerstädtisches Verkehrsmittel, das zweifellos auch Vorteile gegenüber dem Bus hat. Man muss aber immer gucken, dass man für jede Stadt und spezifische Situation abwägt, was am zielführendsten ist. Und ich habe oft den Eindruck, dass die Debatte Bus vs. Straßenbahn doch sehr viel von Verkehrsliebhabern geführt wird. Den meisten Menschen ist vermutlich weitestgehend egal, ob sie in zehn Minuten verlässlich und ohne Verspätung mit der Straßenbahn von A nach B fahren oder ob sie das in einem Bus auf eigener Trasse tun. Der Erfolg der konsequent umgesetzten Hochleistungsbussysteme in Frankreich zeigt das sehr deutlich.

Das Interview ist im Westwind 5/2024 erschienen.


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